Eine wirklich kuriose Zugfahrt

Da sitze ich hier und denke nach. Ich überlege, ob ich euch das jetzt überhaupt erzählen soll. Na gut, diese Geschichte ist nun schon fast 25 Jahre her. Also verjährt und wenn ich euch nicht verrate wie alt ich bin, fällt es unter Jugendsünden…;) ha ha… Aber egal, es fließt eh schon aus meinen Fingern und schließlich habe ich das Abenteuer damals auch gesucht. Ausserdem ist es nicht mal die schlimmste Geschichte. 😀 Ich wohnte damals schon oder aus heutiger Sicht noch in Lyon. Es war wirklich ein schönes Leben dort. Ich habe es geliebt, viel gelernt, unschätzbare Erfahrungen gesammelt und in vollen Zügen genossen. Dennoch habe ich nie die Verbindung zu meinen wirklich guten Freunden in Deutschland verloren. Natürlich überdauert nicht jede Freundschaft, jedoch diese hier wird immer bestehen.

Eine wirklich kuriose Zugfahrt
Mit dem Nachtzug von Lyon nach Frankfurt/Main

An jenem Freitag im Sommer 1999 fuhr mein Zug gegen 23 Uhr in Lyon-Perrache los. Ja, ich hatte einen Nachtzug gewählt, da ich nur für ein Wochenende nach Hessen wollte, wo ich herkam. Eine meiner besten Freundinnen feierte Junggesellinnen-Abschied! Ich hatte ihrer Schwester versprochen zu kommen. Als Überraschungsgast quasi. Also nahm ich ausnahmsweise mal den Nachtzug, damit ich am Morgen ausgeruht einen Junggesellinnen-Abschied feiern konnte, denn im Nachtzug konnte ich dann ja auch schlafen. Das würde reichen müssen. Also suchte ich auf dem Bahnsteig den Schaffner: „Monsieur, est-ce tue je peux payer dans le train?“ Kann ich im Zug bezahlen, fragte ich ihn? „Avec la carte?“ Mit Karte? Er nickte zu meiner Erleichterung, denn ich hatte vorher keine Zeit gehabt ein Ticket zu lösen. Ich stieg also ein, suchte mir einen Platz in einem der Großraumabteile und verstaute meine Sachen. Der Zug war sogar relativ leer. Nur ein paar weitere junge Leute waren mit mir zusammen im Abteil. Ich vertiefte mich in ein Buch und wollte eigentlich auch ziemlich schnell schlafen. Nur noch eben auf den Schaffner warten. Nach einer gefühlten Ewigkeit kam er dann auch endlich. Die vier jungen Leute im Abteil hatten keine Tickets und fingen sich einen Strafzettel ein. Dann war ich an der Reihe. Ich gab ihm meine EC Karte. Er gab mir das Gerät, damit ich meinen Code eintippen konnte. Leider funktionierte es nicht. Hm, schade… warum ging das denn nun nicht?

Natürlich wusste ich vorher nicht, dass man in einem französischen Zug damals nicht mit einer deutschen EC Karte zahlen konnte, sondern nur mit Kreditkarte, die ich aber nicht hatte oder französischer Bankcard. Also musste ich wohl einen Strafzettel hinnehmen.

Immerhin – besser als um 3 Uhr morgens vor der tschechischen Grenze aus dem Zug zu fliegen, weil mein damaliger Partner mit seinem französischen Personalausweis damals nicht über die Grenze kam. Dazu hätte er seinen Reisepass benötigt. Aber das ist eine andere Geschichte…

Als ich dem netten Schaffner meinen deutschen Personalausweis reichte, war dieser sich nicht mehr sicher, mir einen Strafzettel ausstellen zu wollen. Okay. Ich war etwas ratlos. Was man vielleicht wissen sollte: Damals wurden Strafzettel weder nach Deutschland versandt, noch weiterverfolgt. Dieser Strafzettel wäre also komplett wirkungslos gewesen. Na gut, das wusste ich, von diversen Strafzetteln für Falschparken.;)

Irgendwie muss es dem Schaffner bitter aufgestoßen sein, denn er wollte mir keinen Strafzettel ausstellen. Das wusste ich zu dem Zeitpunkt allerdings noch nicht. Er lies mich erst einmal in Ruhe und sagte er würde beim nächsten Halt wieder vorbeikommen. Ok, warum auch immer er das so wollte, mir war es erst einmal egal. Ich machte es mir für die Nacht gemütlich.

Ich war schon am wegdämmern, als der Zug in den nächsten Bahnhof einfuhr. Da ich wirklich müde war tangierte mich das kaum. Erst, als der Schaffner in unser Abteil, direkt zu meinem Sitz kam und mich aufforderte mitzukommen. Hm, leicht verschlafen brauchte ich einen Moment zu realisieren, dass er es tatsächlich ernst meinte. Ok, ich zog mich an. Er sagte ich solle meine EC Karte mitnehmen. Aha. Na gut. Ich war nun doch neugierig. Angst hatte ich keine, schließlich waren auch meine Mitreisenden neugierig geworden und beobachteten die Szene. Kaum aus dem Zug, rannte der Schaffner auch schon los. Quer durch den Bahnhof! Ist der irre, dachte ich! Warum macht er das? Ich hetzte hinterher. Unter den Schienen hindurch, auf die andere Seite, um die Ecke und… da stand er: Der Geldautomat! Ha, ha, ha, ha. 🙂 Ich wusste nun nicht, ob ich lachen oder mich ärgern sollte, dass der Schaffner mich deswegen tatsächlich geweckt hatte! Resigniert steckte ich die Karte in den Automat. Aber, es funktionierte nicht. Ich hatte nur eine EC Karte, wie es damals eben Standard war. Aber eine deutsche EC Karte funktionierte nicht zwangsläufig bei jedem französischen Automaten. Wir rannten zurück zum Zug. Der Schaffner enttäuscht, ich überrascht. … Puh! Ich brauchte einige Zeit, um wieder runterzukommen und weiterzuschlafen. Erstens war ich wirklich müde und Zweitens wollte ich unbedingt ausgeruht am nächsten Morgen Junggesellinnen-Abschied feiern.

Ich dämmerte wieder weg. Glücklich und voller Vorfreude.

„Was ist los? Hilfe! Qu’est-ce qui se passe?“ Ich wurde so jäh aus dem Schlaf gerissen, dass ich völlig vergaß wo ich war. Vor mir stand der Schaffner. Verwirrt schaute ich ihn an. Er erinnerte mich irgendwie die ganze Zeit schon an meinen EDV Lehrer aus der Oberstufe, mit seinem blonden Bubi-Haarschnitt und dem Schnurrbart. Mein EDV Lehrer war besessen von Tictacs gewesen, die er in seinem Köfferchen aufbewahrte und immer wieder verstohlen herausholte. Und er spielte während der Stunde gerne mal Taschenbilliard. Ein gruseliger Vergleich so mitten in der Nacht!

Ich solle mich anziehen und meine EC Karte mitnehmen. WHAT!? Na ja, lange Rede kurzer Sinn: Wieder rannten wir quer durch einen ganzen Bahnhof (dieser war auch noch größer als der vorherige). Wieder stand dort nur ein stinknormaler Geldautomat und ich sah sofort, dass dieser mit meiner Karte wieder nicht funktionieren würde. Und genauso war es: Er lehnte meine Karte ab. Wir hasteten also zurück zum Zug. Der Schaffner war dieses Mal nicht nur enttäuscht, sondern auch leicht verärgert. Das las ich in seinem Gesicht. Meine Mitfahrer schauten amüsiert, als sie uns zurückkommen sahen und ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Toll, drei Uhr morgens war es. Ich „legte“ mich wieder hin und fand zum Glück relativ schnell in den Schlaf zurück. Schließlich hatte ich ja ein klares Ziel vor Augen. Ich malte mir aus, wie sehr sich meine Freundin freuen würde, wenn sie mich sah und freute mich einmal mehr auf das kommende Wochenende.

Jemand ruckelte an meiner Schulter. Was ist los? Sind wir schon da und ich habe einfach wie ein Baby die ganze Nacht geschlafen? (Damals wusste ich noch nicht, dass Babys grundsätzlich nie die ganze Nacht schlafen. Zumindest meine würden das nicht tun.) Ich schaute verschlafen nach wie spät es war: 5 Uhr morgens! Puh! Und wer ruckelte da an meiner Schulter? Ah, der Schaffner. …schlagartig wurde ich noch müder. Ich brauche glaube ich nichts weiter zu erzählen, ausser vielleicht, dass dieser Bahnhof gefühlt noch größer war und wir noch schneller rennen mussten und noch weniger Zeit hatten. Nennt man das dann schon Frühsport so um 5 Uhr morgens?

Ich glaube der Schaffner wurde langsam immer wütender, meine Mitreisenden fanden die ganze Situation immer lustiger und ich, tja… keine Ahnung. Ich erlag jedes Mal dem Irrglauben, dass der Schaffner mich ganz bestimmt nicht noch einmal wecken würde. Womit ich allerdings gehörig auf dem Holzweg war. Er weckte mich fortan in jedem Bahnhof. Jedes Mal rannten wir quer durch diesen hindurch, auf der Suche nach dem nächsten Geldautomaten und jedes Mal wurde der Schaffner wütender und ich konnte irgendwann auch nicht mehr anders als diese ganze Situation äußerst kurios zu finden. An Schlaf war mittlerweile gar nicht mehr zu denken. Kennt ihr diesen Punkt, an dem der Schlafmangel umschwenkt in etwas Undefinierbares und man sich fühlt als wäre man „high“? An diesem Punkt war ich angekommen…

Es war mittlerweile 9 Uhr morgens und wir fuhren langsam in Strassburg ein. Der Schaffner hatte mir vorher meinen Personalausweis abgenommen und wartete am Bahnsteig, bis ich ausgestiegen war. Ich wusste, Strassburg würde über den richtigen Geldautomaten verfügen und meine EC Karte würde funktionieren. Zusammen mit meinen Mitreisenden, die ja ebenfalls einen Strafzettel bekommen hatten, liefen wir zum Geldautomaten. Meine Mitreisenden ließen mir den Vortritt. Ich steckte die Karte in den Automaten. Natürlich funktionierte er. Der Schaffner stand in gebührendem Abstand, wie es sich gehörte, damit er keinen Blick auf die Eingabe meiner Geheimzahl hatte. Ich war mittlerweile mindestens genauso wütend wie er. Ich hatte nicht geschlafen, war mehrmals mitten in der Nacht quer durch alle möglichen Bahnhöfe gerannt und hatte nun ausserdem das Recht auf ein bisschen schlechte Laune. Aber eigentlich war es einfach nur so, dass ich ihm seinen Triumph nicht gönnte! Er hatte mich die ganze Nacht gequält. Ich dachte kurz nach und gab dann zweimal die falsche Geheimzahl ein, bevor ich mich zu dem Schaffner umdrehte, um zu verkünden, dass meine Karte wieder nicht funktionierte. Da raunte mir einer meiner ;Mitreisenden ins Ohr: „Tu connais pas ton code?“ Kennst du deine Geheimzahl nicht? Ich durchbohrte ihn mit meinem Blick… Er verstand sofort und schaute einigermaßen verblüfft und amüsiert zu als mich zu dem Schaffner hinwandte und ihm verkündete, dass er mit seiner nächtlichen Aktion nur erreicht hatte, mich wütend zu machen und ich deshalb einen Teufel tun werde ihm die Genugtuung zu geben und dieser Automat nun tat was er sollte. Das sagte ich natürlich nicht so, sondern drückte mich etwas diplomatischer aus.;) Er war trotzdem so richtig sauer, dieser Schaffner, als er mir meinen Personalausweis zusammen mit einem Strafzettel gab. Er hatte also schon damit gerechnet, das es nicht funktionieren würde.

Vergnügt stieg ich in Straßburg in meinen Zug nach Frankfurt, meinem eigentlichen Ziel und zog für den Rest der Fahrt im Zug eine Fahrkarte. In Deutschland ging das nämlich mit meiner Karte durchaus.

Es war ein wunderbarer Junggesellinnen-Abschied! Auch wenn ich etwas müde war zwischendurch. Um nichts in der Welt hätte ich das verpassen wollen! Und falls ihr euch fragt: Die Rückfahrt war völlig belanglos, ausser vielleicht, dass die deutsche Bahn mal wieder nicht pünktlich war, ich daher meinen Anschlusszug in Strassburg verpasste und somit dort die halbe Nacht im Bahnhof auf den ersten Zug um 5 Uhr morgens warten musste… Na ja, wenigstens gab es dort Kaffee.

Und… ja, eine Jugendsünde. Ich würde jedem abraten dies heute zu versuchen. …!!!